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MI 1. Mai 2024 18:00 DF & 20:00 DF
Die Herrlichkeit des Lebens
von Georg Maas & Judith Kaufmann
Deutschland 2024, 98 min
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Die Herrlichkeit des Lebens
Wir müssen uns Kafka als einen glücklichen Menschen vorstellen
Keine Ahnung, ob es nur mir so ging? Franz Kafka als der unnahbare Gott der Weltiteratur - Pflichtlektüre. "Die Verwandlung" kennt fast jeder, mich hat sie als Jugendlichen extrem verstört. "Vor dem Gesetz" ... Alptraum eines Lebens ohne Hoffnung. Als bildungsbeflissene Eltern auf der Urlaubsreise haben wir den Kindern Kafkas "Verwandlung" vorgespielt. Proteste ohne Ende von der Rückbank. Doch als Renate schließlich aufgab und die CD abstellte, wollte Claudio dann doch weiterhören. Er war angefixt und mutierte zum Kafka Experten seiner Klasse.
Jeder hat wohl so seine "seltsamen" Begegnungen mit Kafka, doch jetzt - 100 Jahre nach seinem Tod - lernen wir endlich auch einen "wahren" Kafka aus Fleisch und Blut kennen. Ein Franz, umringt von Kindern, denen er Geschichten erzählt; ein Franz, der Frauen liebt ... wenn auch gefangen in der Doppelmoral seiner Zeit: Bordellbesuche sind standesgemäß, aber Sex mit Frauen, die er liebt, flößen ihm Angst ein. Ein Kafka, der zwar seine Tätigkeit bei der Arbeiter-Unfallversicherungs-Anstalt als Brotberuf bezeichnet, diesem aber doch so gewissenhaft und kenntnisreich nachgeht, dass er als Mann für schwierige Fälle unersetzlich ist und viermal befördert wurde.
Renate hatte uns schon oft erzählt, dass der Mensch Kafka nicht mit der, in eine dunkle Welt der Gesetze geworfene Figur des Josef K., zu verwechseln ist. Er war gesellig unter Freunden und wenn er aus seinen Werken vortrug, wurde viel gelacht. Jetzt kann man diesem weitgehend unbekannten Kafka sowohl in der ARD Serie "Kafka" (unbedingt zu empfehlen) als auch in "Die Herrlichkeit des Lebens" im Keller entdecken.
Die Neue Züricher Zeitung hat Serie und Film in einem Artikel besprochen. Über den Film ist da zu lesen: "Vorlage war Michael Kumpfmüllers gleichnamiger Roman, eine feinsinnige Subversion der gängigen Kafka-Klischees. Bei Kumpfmüller erscheint der Künstler nicht als kreatives Monstrum, das die Lebenskräfte wehrloser Frauen verschlingt, sondern als Liebender einer selbstbewussten Gefährtin. Der Film überträgt diese Konstellation artig auf die Leinwand, das ergibt inszenatorisch Sinn. [...]
Warum die romanhafte Interpretation einer Lebensphase von Kafka, die ihrerseits schon hochliterarisch vermittelt war, noch einmal ästhetisch variieren? «Im Auslegen seid frisch und munter! / Legt ihr’s nicht aus, so legt was unter» – Goethes «Xenien»-Wort kommt hier mit filmästhetischen Mitteln zu seinem Recht."
Fazit: Eine ergreifende Love Story, nicht nur für Kafka Liehaber
Notizen und Kommentare zu Kafkas später Love Story
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Mittwoch, 8. Mai 18:00 DF & 20:30 DF
Maria Montessori
von Léa Todorov
Frankreich, Italien 2023, 100 min
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Maria Montessori
Mal wieder ein Event: Die Montessori Schule zu Gast im Keller
Mit "Maria Montessori", dem ersten Spielfilm der französischen Regisseurin Léa Todorov, kommt ein "süffiger" Spielfilm in den Keller, der für sich allein schon den "Fünfer" wert ist. Der Film schildert die ersten Jahre Montessoris als Ärztin und Pädagogin. Ihr Lebenswerk - die Gründung von alternativen, die Kreativität von Kindern fördernden Schulen - wird am Ende des Films nur kurz aufgelistet.
Da dachten wir uns gleich: Welch günstige Gelegenheit, die Lohrer Montessori Schule einzuladen und Raum und Zeit zu geben, das aktuelle Konzept der weltweit verbreiteten Schulen als Ergänzung zum Film zu vermitteln. Die Gründerinnen der Lohrer Schule, Monika Rosenkranz und Nicole Scherg, werden anwesend sein.
Es wird eine kleine Einführung vor den beiden Vorstellungen geben und nach dem Film um 18 Uhr Gelegenheit zu Fragen und Diskussionsbeiträgen. Danach haben wir Mehlings Diele - das"Oberstübchen" - reserviert, wo spezifische Fragen ( z.B. von Eltern, die noch mit der Schulwahl ringen ) besprochen werden können.
Léa Todorov verzichtet in "Maria Montessori" auf die herkömmliche Struktur eines Biopics. Sie verknüpft die weitgehend authentische Geschichte von Maria Montessori mit der fiktiven Geschichte von Lili, einer berühmten Pariser Sängerin und Kurtisane. Lili hat ein Geheimnis; sie hat eine behinderte Tochter, die sie zu ihrer Mutter abgeschoben hatte ... bis ihr Bruder sie nach dem Tod der Mutter vor ihrer Pariser Tür abliefert. Als sie versucht, Tina im fernen Italien bei dem von Maria Montessori mitgeleiteten Lehrerbildungsinstitut für Kinder mit Behinderungen zu "entsorgen", beginnt eine spannende Geschichte um Frauenrollen und die Sorge um die von der Gesellschaft "weggesperrten" Kinder.
An der Mär der "guten alten Zeit" lässt der Film kein gutes Haar, denn besonders die Rolle von Frauen im "Fin de siècle" erscheint uns heute wie ein Alptraum von einem anderen Planeten.
Fazit: Zwei Frauen, die ihr Recht auf gesellschaftliche Anerkennung einfordern: Unbedingte Empfehlung von uns Kellergeistern!
Margret Köhler interviewt Léa Todorov in der Münchner Abendzeitung
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Mittwoch, 15. Mai 18:00 DF & 20:30 DF
Radical - Eine Klasse für sich
von Christopher Zalla
USA 2023, 122 min
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Radical - Eine Klasse für sich
Wir hatten "Radical" kurz nach "Maria Montessori" gesehen - zwei Filme über innovative Methoden der Pädagogik - die uns fasziniert haben. Da liegt es nahe, euch beide im "Doppelpack" zu zeigen. Obwohl beide Filme in unsere Schubladen "kellertauglich" und "süffig" fallen und den Kampf von Ausnahmepersönlichkeiten gegen eine auf Disziplin und Ordnung fußenden Pädagogik erzählen, tauchen wir doch in ganz unterschiedliche Welten ein: Die aus männlicher Sicht wunderbar geordnete Welt des "Fin de siècle" bei "Montessori" einerseits, und die elende und gefährliche einer von Drogenbaronen beherrschten mexikanischen Grenzstadt andererseits. Während der Film "Maria Montessori" kurz vor der Gründung des weltberühmten Schulkonzepts endet - nicht schlimm, weil uns das von der Lohrer Montessori Schule im Nachgang vermittelt wird - erleben wir in "Radical" hautnah, wie die Liebe zu und Förderung von Kindern einen radikalen Unterschied macht!
Der Schauplatz: Die José Urbina López-Grundschule in der von Kriminalität und Armut gezeichneten Grenzstadt Matamoros zählt zu den verrufensten Schulen Mexikos. Mehr Vewahranstalt als Ort der Bildung, bewacht von bewaffneten Sicherheitsleuten. Die Geschichte, die Regisseur Christopher Zalla und Drehbuchautor Joshua Davis erzählen, fühlt sich wie ein Märchen an. Und doch ist es die wahre Geschichte von Sergio Juárez Correa, der sich nach einem Nervenzusammenbruch in das gottverlassene Nest an der amerikanischen Grenze versetzen lässt, um ohne jegliche Erfahrung ein neues - der Montessori Pädagogik nicht unähnliches - Konzept auszuprobieren. Der Film basiert auf dem im amerikanischen Magazin Wire erschienenen Artikel "A Radical Way of Unleashing a Generation of Geniuses" . Eine auf Google basierende Übersetzung einer begeisterten Lehrerin findet sich auf paedagokick.de.
Axel Tim Purr hat in artechock.de ein schönes Resümee verfasst: "Denn viel wichtiger sind hier die ethnografischen Details und die vor der Kamera realisierte Umsetzung der ungewöhnlichen Reformpädagogik, die immer wieder berührt und: überrascht! Und sind es dann auch die fast schon unheimlich intensiv spielenden Kinder, die diese Pädagogik nicht nur annehmen, sondern auf erstaunlich berührende Weise damit sich und auch ein klein wenig die reale Welt verändert haben."
Fazit: Trotz getreuerErzählung ein unglaublich bewegender "Wohlfühlfilm"
Über den Regisseur Christopher Zalla und sein Kommentar zum Film
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Geschichten vom Land #1
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Mittwoch, 22. Mai 18:00 DF & 20:00 DF
Es sind die kleinen Dinge
von Mélanie Auffret
Frankreich 2023, 92 min
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Es sind die kleinen Dinge
Na endlich wieder eine vergnügliche und lebensnahe französische Komödie!
Alice ist Lehrerin der Zwergschule in einem romantischen, aber gottverlassenen 400-Seelen-Dorf in der Bretagne. Daneben ist sie noch Bürgermeisterin des Ortes. Eine undankbare Aufgabe, die sie von ihrem verstorbenen Vater übernommen hat. Ihre Sprechstunde wird von den Bewohnern rege genutzt, denn Alice kann einfach alles: Sie ist Gesundheitsberaterin, Eheberaterin, Sozialarbeiterin ... und dann nimmt sie auch mal beherzt Schaufel und Schubkarre zur Hand, um ein tiefes Schlagloch zu stopfen.
Im Dorf fehlt es an allem: Bäcker, Bistrot, Arzt ... das Sterben der ländlichen Lebenswelt ist auch in Frankreich ein großes Thema, das die Filmemacherin intensiv recherchiert hat. In einem Dorf, dessen Bewohner trotz schrulliger Eigenheiten zusammenhalten, gibt es so einige gar köstliche Geschichten zu erzählen. Da wird die Bäckerei als Verkaufsstation für geliefertes Brot wieder eröffnet und zunächst auch mit akribischem Aufgabenplan von den Bewohnern betrieben. Diese finden Bier aber noch viel wichtiger als Brot und so reaktivieren sie hinter dem Rücken der Bürgermeisterin - es gibt ja keine Lizenz - eine Zapfanlage. Die Zusatznutzung als Bistro wird rege genutzt, aber wenn Alice im Anmarsch ist, husch husch verschleiert.
Der emotionale Kern der Komödie liegt in der Figur von Émile, dem hitzköpfigen Enfant Terrible des Dorfes, der mit allen aneckt. Als Émile schließlich zugeben muss, dass er weder lesen noch schreiben kann - das hatte bisher sein verstorbener Bruder erledigt - beginnt ein wunderbarer "Zweikampf" zwischen Alice und Émile. Der beginnt damit, dass Émile mit seinen 65 Jahren plötzlich in ihrer Schule auftaucht und darauf besteht, unterrichtet zu werden. Nach der Logik der Komödie entwickelt sich daraus eine wunderbare Klassengemeinschaft und Émile wird unverhofft zum liebenswerten Problemlöser der von der Schließung bedrohten Dorfschule.
Die Beziehung zwischen Alice und Émile ist der eigentliche Kern des Films. Émiles Bemühungen, Alice über Tinder ein Date zu vermitteln, sind zum Scheitern verurteilt - für erotische Beziehungen fehlt ihr die Zeit und der Erwählte entpuppt sich auch noch als Gigolo. Da müsst ihr leider mal auf den obligatorischen Kuss vor dem Abspann verzichten.
Fazit: Eine warmherzige Wohlfühlkomödie - nicht mehr, aber auch kein bisschen weniger.
Interview mit der Filmemacherin Mélanie Auffret
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Geschichten vom Land #2
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Mittwoch, 5. Juni 18:00 DF & 20:00 DF
Andrea lässt sich scheiden
von Josef Hader
Österreich 2024, 90 min
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Andrea lässt sich scheiden
"Geschichten vom Land" - Zwei Filme mit diesem Thema (Leben jenseits der Städte), die unterschiedlicher nicht sein könnten. "Es sind die kleinen Dingen", eine versöhnliche Komödie über die Kraft des Miteinander, präsentierten wir letzten Mittwoch. Und in dieser Woche zeigt uns Josef Hader - wir kennen ihn und seinen bös-amüsierten Blick!- mit skurrilem Humor die Ödnis des österreichischen Landlebens.
Birgit Minichmayr als Andrea und Josef Hader als Franz sind ein Traumpaar in der von Alkohol und Trostlosigkeit umwehten Provinz. Andrea marschiert wie ein Cowboy durch den Film, undurchschaubar wie es früher nur die Männer sein durften. Franz ist katholischer Religionslehrer und wie Andrea ein Außenseiter im Dorf. Die Nächte verbringt er meistens in der Single-Disco und seine Liebe gilt dem Alkohol und der Reflexion über Schuld. "Aber wahrscheinlich ist er gar nicht so abgründig, wie man denken könnte, sondern hat sich schlicht versoffen", meint Hader im Interview.
Der Ausgangspunkt der Geschichte ist eine Scheidung auf Italienisch (mit einem stark österreichischen Akzent). Sie wollte sich eh von ihrem Mann trennen, doch der Zufall erledigt das, als Andrea auf nächtlicher Straße ihren betrunkenen Gatten überfährt und sie - Andrea, die Dorfpolizistin! - Fahrerflucht begeht. Dass Franz betrunken wenig später die Leiche noch einmal überfährt, besiegelt eine tragisch-komische Verbindung zwischen Franz und Andrea. Sie versucht ihm dabei zu helfen, einer drohenden Ermittlung straffrei zu entgehen, er jedoch ist in seiner Schuld unerreichbar tief versunken und hat den Koffer fürs Gefängnis bereits gepackt.
Andrea hatte eigentlich den nächsten Karriereschritt schon in der Tasche, doch der verschwindet nach und nach im Strudel der Ereignisse. Schon in der Eingangsszene wird sie uns lebendig: Unendiche Felder, schnurgerade Landstraße, Andrea und Kollege Walter stehen wortkarg an der Straße, um nach einer gefühlten Ewigkeit vielleicht doch mal ein Auto blitzen zu können - natürlich ohne weitere Konsequenzen. Walter, gespielt von Robert Stadelhofer, scheint seine grummelige Tolpatschigkeit auf direktem Wege aus "Roter Himmel" in die Rolle des überdrüssigen Polizisten gerettet zu haben.
Josef Hader beschreibt seine Rolle im Interview wie folgt: "Franz Leitner ist ein Außenseiter, einer, der nicht erfüllt, was Männer am Land können müssen. Wahrscheinlich wolle er das auch nicht, er kann ja ganz schön trotzig sein. Er findet das nicht schlimm. Er hat keinen Karriereplan, nicht so wie Andrea. Er ist ziemlich einsam und durch das, was ihm im Film widerfährt, lebt er wieder auf. Er ist froh, dass wieder irgend etwas los ist in seinem Leben. Er glaubt, eine große Schuld auf sich geladen zu haben, aber mit Schuld kann er ja umgehen als katholischer Religionslehrer."
Fazit: Ein Muss für Hader Fans und Freunde schwarzer Komödien!
Josef Hader spricht über ANDREA LÄSST SICH SCHEIDEN
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Mittwoch, 12. Juni 18:00 DF & 20:30 DF
La Chimera
von Alice Rohrwacher
I/F/CH 2023, 130 min
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La Chimera
Unsere Lieblingsfilme müsst ihr natürlich sehen! "La Chimera" gehört unbedingt dazu; dieser magisch-mystische Abenteuerfilm über italienische Grabräuber von Alice Rohrwacher. Es ist ein Fest opulenter Bilder in einem vor Lebensfreude sprühenden Italien jenseits der Tourismus-Hochburgen. Alice Rohrwacher lässt die Übergänge zwischen Wachsein und Traum, Realismus und Märchen zerfließen - hier sogar die Grenze zwischen Leben und Tod. Wie ein moderner Orpheus bewegt sich Arthur durch bukolische Szenerien und die Unterwelt der etruskischen Gräber.
"Damit schliesst sich die Filmemacherin gleichsam einer aufregenden Kinobewegung an, die seit etwas mehr als einem Jahrzehnt das italienische Kino auszeichnet wie wir es schon in "Die Purpursegel" erleben durften", schrieb ein begeisterter Patrick Holzapfel in der Neuen Züricher Zeitung.
Das Wort Chimera oder Schimäre steht für ein feuerspeiendes Ungeheuer aus der griechischen Mythologie, das in seiner Körpermitte einer Ziege ähnlich war. Es steht aber auch ganz allgemein für ein Trugbild, eine Wahnvorstellung. Arthur - der Held des Films - wird von seinen Freunden wegen seiner fast übersinnlichen Fähigkeit verehrt, etruskische Gräber im Boden aufzuspüren und so den Lebensunterhalt der Grabräuber zu sichern. Doch Arthur jagt nicht der Chimäre vom schnellen Geld nach. Seine Chimäre sieht aus wie Beniamina, die er verloren hat und die er wie Orpheus der Unterwelt zu entreißen trachtet.
In "La Chimera" begegnen wir Isabella Rosselini, der Grande Dame des italienischen Films. Sie spielt die strenge Herrscherin eines verfallenden Gutshauses, mit vielen albernen Töchtern und der "Sklavin" Italia, die sie gegen Kost, Logie und Gesangsunterricht aufgenommen hat und die sie von ihrem Rollstuhl aus durch das weitläufige Anwesen scheucht. Ihre eigenen Kinder muss Italia jedoch vor ihrer Herrin verstecken. Aber mit Arthur findet Italia ihren Fürsprecher und einen veritablen Problemlöser. Lange hofft man, dass Italia Arthur von seinem Wahn erlöst. Doch die Kraft seiner Liebe zu Beniamina ist stärker als der Tod!
Fazit: Ein bildgewaltiges, höchst unterhaltsames Epos über einen schillernden Einzelgänger.
Regienotizen von Alice Rohrwacher
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Mittwoch, 19. Juni 18:00 DF & 20:30 DF
Jeanne du Barry
von Maïwenn
Frankreich 2023, 116 min
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Jeanne du Barry
Für Freunde von "Historienschinken" gab es in den letzten Jahren nicht viel im Keller zu sehen. Diese gibt es einerseits nicht allzu oft, und andererseits sind sie meist so sehr auf die aufwändige Ausstattung höfischen Lebens fokussiert, dass das Ergebnis recht langatmig daherkommt. Die bahnbrechenden Werke zu diesem Sujet ("Der Leopard" von Visconti oder "Barry Lyndon" von Kubrick) sind inzwischen Filmgeschichte. Immerhin gab es doch auch zwei herausragende Beispiele im Keller:
The Favourite & À LA CARTE - Freiheit geht durch den Magen. Das waren Filme, bei denen die Geschichten im Mittelpunkt stehen und die bei allem Prunk den Humor nicht vergessen.
Der Film "Jeanne du Barry" der französichen Regisseurin Maïwenn führt uns zurück ins 18. Jahrhundert, an den Hof von König Ludwig XV. Den hatte Sofia Coppola in "Marie Antoinette" 2006 schon als überladene "Modenschau" fürstlichen Prunks in Szene gesetzt. Just dieser - zur Kategorie Langweile zählende - Film hatte Maïwenn inspiriert: "Alles begann, als ich 2006 im Kino MARIE-ANTOINETTE sah. Sobald sie auf der Leinwand erschien, war ich fasziniert von der Figur der Jeanne, gespielt von Asia Argento. Ich fühlte mich sofort mit ihr verbunden, vermisste sie, sobald sie die Leinwand verließ. Jeanne du Barry hat mich verführt, weil sie eine wunderbare Verliererin ist", erzählt sie im Interview.
Jeanne du Barry (geboren 1743, als Marie Jeanne Bécu) kam aus ärmlichen Verhältnissen und hat sich zu einer angesehenen Kurtisane in Paris emporgearbeitet, nachdem sie aus ihrer Klosterschule verbannt worden war - wegen allzugroßer Leselust! Wie der König sie entdeckt und sie sich durch seinen "Apparat" zuführen lässt, ist ein grotesk witziges Lehrstück über die absurden Privilegien von Königen. Nachdem Jeanne, gehörig vorbereitet, endlich vom König empfangen wird, entwickelt sich eine wunderbare Liebesgeschichte. Es ist einfach faszinierend und gespickt mit geradezu bösartigen Humor, wie das ungleiche Liebespaar in ihrem "Spiel" mit den täglichen Ritualen des königlichen Tagesablaufs kontrastiert wird. Und dann die Konkurrenz zwischen Jeanne und Marie Antoinette mit ihren Töchtern! Das ist entlarvend und köstlich zugleich.
Fazit: Ein pracht- und humorvolles Spektakel über ein absurdes Königshaus, kurz vor der Revolution.
Maïwenn über ihre Faszination für Jeanne du Barry
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Mittwoch, 26. Juni 18:00 DF & 20:15 DF
Mit einem Tiger schlafen
von Anja Salomonowitz
Österreich 2024, 107 min
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Mit einem Tiger schlafen
Künstlerbiographien haben Konjunktur im Kino. Allein im Keller konntet ihr in diesem Jahr schon drei herausragende Beispiele sehen: Die konventionell erzählte, aber spannende Familiengeschichte der Giacomettis, mit "Vermeer" den Ausflug in die internationale Welt der Museen und schließlich die ganz persönliche Liebeserklärung von Wim Wenders an seinen Freund Anselm Kiefer. Doch jetzt - ganz aktuell - kommt mit "Mit einem Tiger schlafen" die unglaubliche Biographie der Maria Lassnig in den Keller. Anja Salomonowitz hat ihr Leben in einzigartigen Bildern und mit einer den Atem raubenden, sich selbst übertreffenden Birgit Minichmayr auf die Leinwand gebracht!
Maria Lassnig wurde 1919 als ein uneheliches Kind in bäuerlicher Umgebung geboren, wo sie bis zum sechsten Lebensjahr bei ihrer Großmutter aufwuchs. Nachdem aber die Mutter den Bäcker Lassnig geheiratet hatte, kam sie zu ihr nach Klagenfurt. Und obwohl die Mutter das Talent ihrer Tochter früh entdeckt hatte und förderte, bestand sie auf einer Ehe als einzig sichere Zukunft für Frauen. Lassnig studierte in Wien zu Zeiten des "Anschluss" und lebte lange Zeit als freischaffende Malerin in prekären Verhältnissen, in stetigem Kampf gegen eine Männer-dominierte Welt im zeitgenössischen Kunstbetrieb. Erst im hohen Alter wurden ihre Bilder auf dem Kunstmarkt anerkannt, und sie erlebte noch ein Quäntchen Luxus.
„Eine Frau muss drei Mal so viel schuften wie ein Mann, nur weil sie eine Frau ist“, sagt Maria Lassnig, am Boden malend, während ihr jüngerer Geliebter und Wegbegleiter Arnulf Rainer neben ihr aufwacht, sich eine Zigarette anzündet und verkündet, feiern zu gehen, um sie nicht zu stören. Das ist eine der Schlüsselszenen im Film, in dem Lassnig von der jungen Frau bis zum Tod einzig von Birgit Minichmayr verkörpert wird. Dass uns das trotzdem nicht verwirrt, ist Minichmayrs atemberaubendem Spiel zu verdanken.
"Mit einem Tiger schlafen" lässt euch hautnah die Bilderwelt einer weitgehend unbekannten Künstlerin erleben, die wie im Rausch immer wieder ihr Inneres auf die Leinwand bringt. Anja Salomonowitz schafft es, das Leben der Malerin in einem Film - der selbst hohe Kunst ist - für uns mit allen Sinnen erfahrbar zu machen.
Fazit: Ein faszinierender Trip in die Innenwelt einer außergewöhnlichen Malerin
„Meine Bilder, die müssen strahlen.“ - Über Maria Lassnigs Kunst und den Film
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